»Erlöse uns Herr, allmächtiger Vater, von allem Bösen …«
Warum beten wir das Vaterunser eigentlich nicht immer
ohne Unterbrechung?
Manche lassen ihn weg, andere hingegen würden das nie tun. Ich mache es mal so, mal so, je nach Anlass und Situation. Die Rede ist vom sogenannten »Embolismus« (griechisch: Einschub), also jenem Gebet, das in der Messe nach dem Vaterunser und vor dem Lobpreis »Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit« vom Priester gesprochen wird: »Erlöse uns, Herr, allmächtiger Vater, von allem Bösen, und gib Frieden in unseren Tagen. Komm uns zu Hilfe mit deinem Erbarmen, und bewahre uns vor Verwirrung und Sünde, damit wir voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten.« Warum gibt es ein solches Gebet an dieser Stelle? Und ist das nicht irgendwie anti-ökumenisch?
Das Vaterunser, also das biblisch bezeugte Gebet Jesu, hat seinen Platz in der Liturgie seit frühesten Zeiten. Schon die Urgemeinde hat es vermutlich gesprochen, allerdings ohne die (sich wie selbstverständlich anschließende) Doxologie »Denn dein ist das Reich«. Diese ist zwar auch schon sehr alt, sie stammt aber nicht aus der Anfangszeit, sondern wohl aus dem 2. Jahrhundert.
In der Mitte des 5. Jahrhunderts – zur Zeit der Völkerwanderung mit all ihren kriegerischen Auseinandersetzungen, als Papst Leo der Große Bischof der bedrängten Stadt Rom war – hat man die Bitte um Erlösung von allem Bösen, zwischen Vaterunser und Lobpreis eingefügt, die Bitte um Frieden, die Bitte um Hilfe und Erbarmen, die Bitte um Bewahrung vor Verwirrung und Sünde, »damit wir voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten«.
Martin Luther hat dieses Gebet im Jahr 1524 in seiner Gottesdienstordnung dann wieder entfernt. Die meisten anderen Kirchen hingegen (bis auf wenige orthodoxe Ausnahmen) kennen ein dem Embolismus vergleichbares Gebet zwischen Vaterunser und dem Lobpreis »Denn dein ist das Reich«.
Dieser wiederum wurde zur Zeit des Konzils von Trient (1545 – 1563) aus der Liturgie entfernt (vermutlich weil »zu evangelisch«). Er kehrte erst 1970, also nach den Reformen des 2. Vatikanischen Konzils, wieder in das katholische Messbuch zurück. Kurzum: Nichts ist ewig, und es gibt immer wieder (mehr oder weniger schlüssige) Gründe, Dinge hinzuzufügen oder wegzulassen.
Ist der Embolismus anti-ökumenisch?, lautete die zweite Frage. Ich glaube nicht, denn so war er ja nie gemeint – auch wenn manche ihn heute als irgendwie merkwürdig und als nicht unbedingt der Ökumene dienlich wahrnehmen. Aber ökumenisch unterwegs zu sein bedeutet doch auch, dass nicht überall alles gleich sein muss, oder?
Ich freue mich über die vielen unterschiedlichen Traditionen, die sich in den Liturgien der verschiedenen Konfessionen entwickelt und erhalten haben. Alle haben ihren Ursprung. Und alle haben ihre Berechtigung. Luther hat – in bewusster Absetzung zur katholischen Messe – den Embolismus gestrichen. Wir haben nach dem Konzil das »Denn dein ist das Reich« bewusst wieder an Vaterunser und Embolismus angefügt. Vielleicht auch als Antwort auf alle jene, die nur das Trennende sehen woll(t)en.
Nun erleben Sie den Gebrauch des Embolismus in unserer katholischen Liturgie aber recht unterschiedlich. Ich überlege meist sehr genau, wann ich diesen Einschub weglasse und wann nicht. Jeden Automatismus (»Das muss hier immer so sein!«) finde ich schwierig. Manchmal ist es beispielsweise gut, den Embolismus in einer Familienmesse zu sprechen (oder auch zu singen), damit die Kinder ihn mal hören, in einer anderen Messe passt es aber gefühlt gerade ganz und gar nicht.
Wenn ich sehe, dass sehr viele Nichtkatholiken im Gottesdienst sind, lasse ich den Embolismus tendenziell eher weg, um mögliche Irritationen zu vermeiden. Und manchmal spreche ich ihn noch bewusster als sonst oder lasse mittendrin eine kurze Stille, um Zeit für das Gebet um Frieden zu ermöglichen: »… und gib Frieden in unseren Tagen« – Stille – »Lass uns voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten.«
Sie merken (wenn Sie überhaupt bis hierhin durchgehalten haben, denn es ist schon ein sehr spezielles Thema): Die einzelnen Elemente der Liturgie haben alle ihre eigene Aussagekraft. Nie sollten sie ein »Werkzeug« sein, um sich abzugrenzen oder anderen zu zeigen: »Nur so ist es richtig!« Meine ich jedenfalls.
Wie auch immer Sie nun zum Embolismus stehen mögen: Am Ende geht es bei allem darum, sich diesem Gott anzuvertrauen (über alle Konfessionsgrenzen hinweg), und auf den zu hoffen, von dem wir glauben, dass er kommt, uns zu befreien: Jesus Christus.
Alexander Bergel
.
Alle Folgen der Liturgiereihe
finden Sie hier.