War es die Sehnsucht? Oder die pure Verzweiflung? Oder beides? Maria, die Frau aus Magdala, zieht es hin zum Grab. Was sie dort findet wird, ist eigentlich klar. Den Tod. Nicht abstrakt. Konkret. Jesus – der, den sie liebte, dem sie vertraute, der sie zur Jüngerin machte –
ist tot. Ein für alle Mal. Aber sie geht. Will ihm nahe sein. Und ist es dann auch. Nur ganz anders als erwartet.

Genau deshalb sind wir hier. Mitten in der Nacht. Wir sind hier, weil eine Frau nicht zuhause blieb. Weil eine Frau ihrem Herzen folgte. Weil eine Frau sich die Hoffnung nicht austreiben ließ. Wir sind hier und hören ihre Geschichte. Und nicht nur die. Wir hören von Adam und Eva, von Noah, von Mose und Mirjam. Uralte Geschichten. Weitererzählt von Generation zu Generation. Bis heute. So wurden und werden sie zu unseren Geschichten. Geschichten, die davon künden, was einmal war. Und die uns Mut machen, glauben zu können, dass sie weiter gehen – bis hinein in unsere Tage.

Am Anfang von allem steht eine Liebesgeschichte: Adam und Eva. Ganz gleich, wie sie wirklich hießen und ob es sie jemals gab, es gab einen Anfang. Und der war gut. Sehr gut sogar. Keine Scham. Keine Angst. Nur Liebe. Lange ist das her. Aber nicht vorbei. Denn das Paradies, es lebt weiter. In uns. Auch dann, wenn es dunkel wird. Am Anfang, da war alles gut. Und tief in uns ist es das auch! In einer Welt, die vor dem Kollaps steht, ermutigt mich die Geschichte vom Anfang, dem Untergang zu widersprechen. Der Liebe mehr zu trauen als dem Hass. Liebende wissen, wie das geht. Denn wer liebt, traut sich, so etwas zu sagen: „Stark wie der Tod ist die Liebe, auch mächtige Wasser können sie nicht löschen.“

Mächtige Wasser. Wir hören von Noah, einem Menschen, der sich nicht unterkriegen lässt, auch wenn der Welt das Wasser bis zum Halse steht. Woher nur kommen diese Todesfluten, immer und immer wieder? Ist es der Drang, wie Gott zu sein, der alles überflutet? Ist es die Ignoranz der Mächtigen, in deren Händen die Erde nur ein Spielball ist? In einer Welt, in der vielen das Wasser wirklich bis zum Halse steht, ermutigt mich die Geschichte von der Arche, meine Taube immer wieder auszusenden. Wie Noah. Das heißt nicht, naiv darauf zu hoffen:
Es wird schon wieder irgendwie mit dem Klima. Denn das wird es nicht einfach so. Aber wir können etwas tun. Immer und immer wieder darüber sprechen. Immer und immer wieder den Mächtigen in den Ohren liegen. Selbst so leben, dass unsere Erde eine Zukunft hat. Und damit rechnen, dass Gott zu uns steht, wenn der Bogen am Himmel uns seine Treue in Erinnerung ruft, wenn eine Taube, vielleicht mit einem Ölzweig im Schnabel, unsere Wege kreuzt.

Gekreuzte Wege. Wir hören von Mose und Mirjam, ein Mann und eine Frau, die ihr Volk in die Freiheit führen. Ein ganzes Volk erfährt am eigenen Leib, wonach es sich so lange sehnt: Atmen können. Leben. Singen. Einfach so. Keine Macht mehr den skrupellosen Sklavenhaltern! Keine Macht den Unterdrückern! Keine Macht den Menschenschindern! Und obwohl es immer wieder von vorne begann, obwohl seine Freiheit immer wieder bedroht war, obwohl jüdische Menschen immer und immer wieder gedemütigt, verschleppt und ermordet wurden bis hinein in unsere Tage, hat dieses Volk nicht aufgehört, seinem Gott über den Weg zu trauen und sich immer und immer wieder an die große Befreiung erinnert, die seine Väter und Mütter erfahren hatten. Was für ein Mut! Was für ein Vertrauen! Was für eine Kraft! Wir Christen leben daraus genauso. Bis heute.

Leben bis heute. Wir hören von Maria Magdalena. Sie hätte weglaufen können. Sich verkriechen. Und irgendwann zur Tagesordnung übergehen können. Hat sie aber nicht. Maria geht zum Grab und wird Zeugin dessen, was sich nicht in Worte fassen lässt: Jesus lebt! Der Tod hat ausgespielt! Endgültig! Sie hat es weitererzählt. Und seither hören wir davon, wie Jesus ihren Namen nennt und sie in diesem Augenblick begreift, was geschehen ist.

Wir feiern Ostern, weil Menschen trotz allem, was schon immer dagegensprach, vertraut und gehofft und gehandelt haben. Adam und Eva: Liebe pur. Noah: Vertrauen pur. Mose und Mirjam: Aufbruch pur. Maria von Magdala: Sehnsucht pur. Und mittendrin, mal zwischen den Zeilen, mal als Überschrift, mal tief verborgen: Gott, der uns nicht fallen lässt. Nicht einmal im Tod.

Sie spüren das gerade nicht so sehr? Der Blick in die alten Geschichten zeigt: Das ging eigentlich fast immer allen ganz genauso. Deshalb brauchen wir einander. Erzählen wir einander davon, wie das bei uns ist mit der Liebe, mit dem Vertrauen, mit dem Aufbruch, mit der Sehnsucht. Teilen wir nicht nur die Schreckensvisionen und Unheilsgeschichten. Teilen wir das, was uns am Leben hält. Denn genauso fing es an. Immer wieder. Mit anderen Worten: Genauso könnte es weitergehen!

Alexander Bergel