Unsere Kirche erstrahlt in einem warmen Licht. Krippe und Baum sorgen dafür, dass es heimelig bei uns ist. Der wunderbare Gesang hat uns gerade das Evangelium mit der Botschaft gebracht: Gott wird Mensch. Gott kommt zu uns Menschen. Wir wünschen uns zu Weihnachten Gemütlichkeit, Beschaulichkeit, Ruhe, Friedlichkeit, die Sorgen und Nöte für einen Moment hinter uns lassen und daran glauben, dass uns ja jetzt der Retter geboren wurde. Der, der den Frieden bringt.

Dieser Retter, dieses Kind im Stall, dieser Jesus kann aber erst einmal nicht viel und braucht viel Beistand und Hilfe – auch wenn viele Krippendarstellungen etwas anderes vermuten lassen. Wir alle hier wissen: Ein Neugeborenes ist nicht selbstständig. Es braucht uns. Es braucht unsere Hilfe. Und zwar rund um die Uhr.

Worum geht es in der Menschwerdung Gottes also? Es geht nicht ohne uns … Oder anders gesagt: Sieh hin und handle!!! Und tue, was getan werden muss! Und genau, wie nicht alle automatisch Profis in der Betreuung von Säuglingen sind, genauso ist es mit dem Verstehen dessen, was Gott uns sagen möchte. Mir wird dieses Kind im Stall anvertraut, das wirklich einen erbärmlichen Start ins Leben hat. Und ich soll mich kümmern. Und ich soll verstehen, was es mir sagen möchte, und entsprechend danach handeln.

Gott traut mir also etwas zu! Der Blick in ein Babygesicht zaubert dem Schauenden in der Regel ein Lächeln ins Gesicht und berührt das Herz. Und manchmal hält dieser Zustand auch eine Weile an … Am liebsten möchte ich also dieses Kind nehmen und es den Machthabern dieser Welt zeigen. Nach Russland, Amerika, Israel, Ukraine, Syrien, nach Rom auf den Petersplatz, ins Europäische Parlament, zu den Verantwortlichen der sogenannten Volksparteien in unserem Land, zu … Soll ich weiter aufzählen?

Babys spüren, ob man es gut mit Ihnen meint. Ich glaube fest, dass es dieser Gott gut mit uns meint, aber wie reagieren wir richtig? Wem vertraut Gott dieses Kind im Stall an? Vor wem braucht es meinen/unseren Schutz? Bei wem kann ich mir sicher sein, dass diesem Kind nichts passiert? Nicht einmal unsere eigene Kirche hat es geschafft … Bin ich es wert, dass man es mir anvertraut?

Dieses Kind im Stall wird als Erwachsener sagen: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.« Der erwachsene Jesus wird uns zudem sagen, dass wir alles dafür tun sollen, ja, müssen, dass Menschen in Freiheit, Gerechtigkeit und als geliebte Menschen leben dürfen … Ich darf nicht darauf warten, dass andere es tun. Wir dürfen nicht darauf warten, dass andere es tun.

In diesen Zeiten und wahrscheinlich schon immer ist es wichtig, Position zu beziehen. Wahrhaftigkeit einzufordern. Mir bewusst machen, dass mir dieses Gotteskind als Geschenk anvertraut ist, das ich »schützen« soll. Nicht müde zu werden, dafür einzustehen, dass diese sinnliche Atmosphäre in dieser Christus-König-Kirche für alle da ist … Ja, da wäre …

Ich möchte manchmal nur dasitzen und daran denken, wie ich eines unserer Kinder als Baby in den Armen hielt, und einfach in diesem Gefühl des Glücks einfrieren und alles um mich herum vergessen. (Ich durfte das so oft erleben.) Kann ich nicht, und das Leben will ja auch weitergehen.

An mutigen Tagen spüre ich die Kraft des beginnenden Lebens: Dieses Kind im Stall wird für den Frieden auf der Welt 33 Jahre später ans Kreuz geschlagen und sagen: »Musste nicht dies alles geschehen?« Ich frage mich: Was muss noch alles geschehen? Wie viele Menschen müssen noch durch Kriege sterben? Wie viele verhungern? Wie viele noch auf der Flucht sein? Ganz aktuell: Warum wird, wie gerade in Magdeburg erlebt, so viel Menschenleben zerstört?

Wir haben so viele Möglichkeiten, und wir tun schon so viel: Dieses Kind zu schützen, heißt, den Glauben zu schützen, heißt, mit Hoffnung in die Zukunft zu schauen, heißt, unseren Glauben zu retten in einer Welt, die gottlos zu werden scheint – oder im Namen Gottes missbraucht wird. Schließlich: Die Botschaft von Weihnachten heißt, sich mit den Katastrophen des Lebens nicht abzufinden.

Es geht nicht ohne uns … Wir alle hier haben Verantwortung für das, was wir tun, und wir haben sie auch für jenes, das wir unterlassen. Wir alle hier sind aber nicht allein. Wir sind heute viele. Und all die Lieder heute Abend, all die Gebete, die Musik und die Worte der Bibel richten den Blick auf den Stall, auf die Menschwerdung Gottes, die uns vielleicht sagt: Hier lieg ich, sieh her, lass dich berühren, blicke dann auf und handle so, wie es dir möglich ist. Zuhause, auf der Arbeit, in der Schule, im Ehrenamt, im Krankenhaus, im Seniorenheim, in der Fankurve, in der Politik, bei deinem Nächsten, bei …

Jesus, der Christus, wird später sagen: »Was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.« Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass mit Jesus eine neue Freiheit in diese Welt gekommen ist, in der wir uns gegenseitig als Mensch sehen und begegnen sollen – als von Gott gewollt, in aller Buntheit und Diversität –,  einfach als Menschen, auserwählt, selbst ein Gotteskind zu sein.

Solange Menschen an dieses Kind im Stall glauben, solange lebt in mir die Hoffnung auf das Leben … Und das kann keiner und keine allein: Das geht nur in Gemeinschaft. Dies ist der Ort und vielleicht die Zeit, sich darin gegenseitig zu bestärken.

Dirk Schnieber

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Die Weihnachtspredigt von Alexander Bergel
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