Ein Kind erblickt das Licht der Welt. Tiefe Nacht. Heller Stern. Hirten. Engel. Ochs und Esel. Und der Stall. In Betlehem, der alten Königsstadt. Die ganz große Bühne also. Mehr geht nicht. Das hat Menschen fasziniert. Immer schon. Und immer wieder. Und so machen sich immer noch viele auf den Weg, um das zu feiern. So wie Sie auch. Nur warum? Was veranlasst Menschen, den Geburtstag eines Kindes zu feiern, das man persönlich gar nicht kennt? Oder anders gefragt: Warum sind Sie heute eigentlich hier?

Ist es die Erinnerung an alte Zeiten, die Sie hierherkommen lässt? Die Erinnerung an Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung war? (Wermutstropfen Nummer 1: Die Welt war eigentlich nie wirklich in Ordnung.) Ist es die Sehnsucht nach Frieden? (Wermutstropfen Nummer 2: Der größte Unfrieden geht von Menschen aus, die sagen, sie seien religiös.) Oder ist es die Hoffnung, dass doch wenigstens einmal im Jahr nicht die Angst die Oberhand behält, nicht die Kälte, nicht die Krise, nicht der Tod? (Wermutstropfen Nummer 3: Auch heute machen sich Menschen das Leben gegenseitig zur Hölle. Auch heute hören mehr Menschen Kanonengetöse als Engelsgesang.)

Jeder kennt sie: die Argumente gegen das Heile, gegen den Frieden, gegen die Hoffnung. Weihnachten feiern heißt, diesen starken Argumenten etwas noch Stärkeres entgegenzusetzen: Die Erinnerung an das, was gut war. Die Sehnsucht danach, dass Heilung und Frieden möglich sind. Und die Hoffnung, dass mein Leben einen Sinn hat. Und zwar nicht, indem wir uns zum Jahresende ein bisschen Zuckerguss über den grauen Alltag schütten, sondern indem wir die Geburt eines Menschen feiern, der in seinem ganzen Leben – von der Krippe bis zum Kreuz und über den Tod hinaus – genau das gelebt hat, wonach sich so viele so sehr sehnen.

Als Jesus den Kinderschuhen entwachsen war, hat er die Nähe der Menschen gesucht – vor allem die Nähe derer, die am Rande standen, die ohne Ansehen waren, ohne Perspektive, fast immer kraftlos, oft am Boden zerstört – und ihnen gesagt: „Auch wenn du es selbst nicht spürst, weil du krank bist oder einsam, weil du von allen verachtet wirst oder am Rande des Todes dahinvegetierst – glaube mir: Dein Leben hat einen Sinn! Wenn deine Erfahrung dich lehrt: Keiner will mich! – lass dir gesagt sein: Das stimmt nicht! Und wenn du meinst, deine Sehnsucht nach Heilung und Frieden wird doch nie erfüllt – ich sage dir: Du wirst die Fesseln des Todes abschütteln.“

Natürlich kann man die Bibel und mittendrin die Jesusgeschichte als ein phantastisches Märchenbuch lesen, in dem Lahme gehen, Blinde sehen und Taube wieder hören können. Man kann das alles mit einer Hand wegwischen und sagen: Schöne Geschichten, aber mich berühren die nicht! Kann man. Man kann aber auch einen anderen Weg gehen. Und sagen: In diesen Geschichten steckt solch eine revolutionäre Kraft, dass sie auch nach Jahrtausenden noch erzählt werden! Und immer noch hören Menschen zu. Und immer noch treten Menschen in die Fußstapfen Jesu und strafen jene Lügen, die Religion dazu benutzen, anderen die Hölle heiß zu machen.

Weihnachten feiern bedeutet: Sich ergreifen zu lassen von einem Gott, der bis zum Äußersten gegangen ist. Der mitten in die Welt hineinkam, um neue Maßstäbe zu setzen. Der Mensch wurde, um zu zeigen: Frieden ist möglich. Würde ist möglich. Liebe ist möglich. Rückschläge gab und gibt es zuhauf. Irrwege, Umwege, Abgründe. Die Welt ist voll davon. Bis heute. Aber wenn wir aufhören würden, Weihnachten zu feiern, würden wir aufhören, an das Gute zu glauben. Wir würden aufhören, Gott eine Chance zu geben. Wir würden aufhören, daran zu glauben, dass wir nicht am Abgrund stehen, sondern Gott auf unserer Seite haben, komme, was kommen mag. Kurz: Weihnachten feiern heißt: Dem Leben, der Liebe, dem Frieden eine Chance zu geben. Sind Sie vielleicht genau deshalb hier?

Alexander Bergel