Stellen Sie sich vor: Sie sind als Teenager, sagen wir, in der Verwandtschaft zu einer Hochzeit eingeladen. Sie gehen da mit Ihrer Mutter hin. Das ist ja schon unangenehm genug. Und da sitzen Sie am Tisch, wahrscheinlich etwas gelangweilt, und sagen wir, in dem Raum steht ein Klavier an der Wand hinter Ihnen, und Ihre Mutter hat gerade allen erzählt, dass Sie jetzt wieder Klavierunterricht nehmen und – »ach komm, willst du nicht mal was vorspielen, dieses schöne Stück von letzter Woche zum Beispiel?« Und Sie rollen schon mit den Augen, peinlich, »oah Mama, doch nicht jetzt, man!«
Ich liebe ja die Bibel für ihre wenigen wirklich komischen Stellen. Ich weiß natürlich, dass diese Geschichte von der Hochzeit zu Kana eine große Bedeutung hat mit ein paar Anspielungen, sie findet am »dritten Tag« statt und es geht um den Wein und Jesu erstes öffentliches Zeichen, das er wirkt, um seine »Herrlichkeit“ zu demonstrieren (um die es ja auch im Lesungstext geht, Gottes Herrlichkeit, »lass mich die sehen«, sagt Mose und bekommt sie eben nicht direkt zu Gesicht, sondern nur einen Anschein davon, eine Ahnung, ein Spüren mit genügend Abstand). Also: Wichtiges erstes Zeichen, Symbol des Weines, die Herrlichkeit. Das ist natürlich ganz bedeutsam.
Aber: ich finde die Szene wirklich komisch und möchte sie gern einmal von dieser Seite betrachten: Jesus ist also mit seiner Mutter auf der Hochzeit, und dann hat sie das Problem mitbekommen und raunt ihm das zu, sagt einfach nur: »Sie haben keinen Wein mehr!« Maria zieht vielsagend die Augenbrauen hoch. Dabei: Sie sind doch gar nicht zuständig und überhaupt, was denkt sie sich denn dabei? Und Jesus so: »Boah Mutter! Doch jetzt noch nicht!« Das allein finde ich schon witzig, als ob sie beide dieses Geheimnis teilen, was er so alles kann. So: »Könntest du nicht eben kurz …?«, aber Jesus weiß, dass man damit eigentlich nicht spielt. Also, er ist ja schließlich nicht zum Vergnügen Gottes Sohn. Oder?
Das ignoriert sie aber gekonnt – noch so ein Mutter-Move – und wendet sich einfach an die Diener: »Tut, was er euch sagt!« Ich stelle mir Jesus Gesicht in dem Moment vor, will er lieber im Boden versinken oder überlegt sich noch eine Erwiderung, wie er da wieder rauskommt … Aber dann will er sie beide auch nicht bloßstellen und macht notgedrungen mit – oder vielleicht findet er es ja doch ganz gut. Wir erfahren es nicht. Er sagt jedenfalls zu den Dienern ganz bestimmend: »Füllt die Krüge mit Wasser«, die tun das übrigens einfach (man hätte das jetzt auch hinterfragen können, dass irgend so ein Gast ihnen so einen Unsinn aufträgt). Sie bringen das Getränk zum Organisator.
Und dann wird klar, dass das einfach richtig guter Wein ist. Jesus macht nicht einfach nur Wein, sondern gerade den exzellenten, für den man sonst richtig viel ausgibt. Die Party ist gerettet. Das muss man sich ja auch so mal vorstellen: Das ist einfach eine Hochzeitsparty, es gibt viel zu Essen, die Leute sind ausgelassen, sie tanzen, es ist laut und vermutlich bunt, und offensichtlich ist die Stunde schon vorgerückt, weil alle schon so betrunken sind, dass der gute Wein eigentlich zu schade ist. Ist ja auch ein kluger Trick. Und genau da offenbart Jesus »seine Herrlichkeit«, wie auch immer wir uns das da in dem Moment vorstellen dürfen. Ich habe so ein Bild im Kopf: Die drei Tanten, die am Rande der Tanzfläche sitzen und dem Treiben zusehen und zueinander sagen: »Ach is dat herrlich hier!« und dann prosten sie sich mit dem Wein zu.
Gott offenbart seine Herrlichkeit auf einer feuchtfröhlichen Party. Jesus erstes Zeichen verhilft den Leuten dazu, weiter feiern zu können. Und ich gehe davon aus, dass Jesus mit den Jüngern, die ja auch da sind, nicht am Rande sitzen bleibt und weiter die Weinproduktion im Auge behält, sondern vermutlich mitfeiert. Ich finde das ganz großartig! Ich wüsste gern, ob er und Maria das Ganze nicht doch irgendwie berechnend getan haben, ob sie sich in stummer Übereinkunft zugenickt haben: Na komm schon, wir wissen doch, dass du’s kannst. Oder ob es Jesus vielleicht doch ein bisschen Spaß macht, die Diener so zum Staunen zu bringen und gleichzeitig im Unwissen zu lassen. Nur die Jünger haben’s verstanden.
Ich finde das auch großartig deswegen, weil dieses erste Zeichen in einem Kontext stattfindet, in dem es einfach um so viele schöne Dinge geht: Feiern. Freunde. Freude. Lebensfreude. Liebe. Die große Liebe! Das Leben. Ein verschwenderisches, rauschendes Fest. Und aus Wasser, Grundlage des Lebens, macht er den besten Wein, den alle genießen dürfen, auch die, die nicht mehr so ganz beisammen sind. Jesus überlegt jedenfalls nicht lange, ob das jetzt sinnvoll und so korrekt ist, er entscheidet, einfach zu machen, weil‘s jetzt dran ist.
Das mag ich an ihm: Jesus tut selten das, was angemessen und schicklich ist. Direkt danach steht die Geschichte von der Tempelreinigung, wo er einfach mal richtig aufräumt und Krach macht. Wir erzählen, zum Beispiel auch in der Schule, immer diese Jesusgeschichten, in denen er Leute heilt oder wichtige Dinge erzählt, wie man sich verhalten soll und so. Ich will mehr von dieser zweiten Seite erzählen: Jesus, der, der die Dinge anders macht. Jesus, der nervt und hinterfragt und den Gelehrten aufmüpfige Fragen stellt. Jesus, der überrascht. Jesus, der auf die Meinung der Leute pfeift. Und auf Konventionen. Jesus, dem es immer wieder um die banalen Dinge des Lebens geht – Essen, Trinken, … Jesus, der Regeln bricht. Jesus, der definitiv Sinn für Humor hat. Jesus, der gern feiern geht und für guten Wein zu haben ist. Für Lebensfreude, einen gewissen Pragmatismus, wenn es die Situation erfordert.
Ich wünsche mir das nicht nur für unsere Kirchen, wenn wir wie so oft in unseren Strukturen und Traditionen und Normen festsitzen und man im Gottesdienst leise sein muss und – ach, gerade in Rom würde denen das guttun, diese Menschen, die so Wörter wie »geziemt« benutzen. Ich könnte ewig weitermachen. Ich wünsch mir das genauso für uns, im Alltag, im Leben, dieses: Ich will Herrlichkeit erleben. Das Leben feiern. Den guten Wein auch dann noch aufmachen, wenn es schon fast zu spät ist. Und dabei wissen: Gott gefällt das. Und Jesus und Maria wären ziemlich sicher auch dabei.
Katie Westphal