Klare Kante. Das war sein Ding. Nicht „jaja“, auch kein „eventuell“ und kein „mal schauen“. Im Gegenteil. Er hat gesagt, was er dachte. Und das war meist ziemlich unbequem. Und sehr konkret. Nur – wie stellt er sich das vor? Wer hat ihn denn nicht? Den Bruder oder den Verwandten, den man am liebsten zum Mond schießen würde. Wer kennt sie nicht? Die Situation, in der man sich sehr schwertut, ehrlich zu sein. Oder wer kommt nicht an seine Grenzen, wenn jemand immer und immer wieder in derselben Wunde rumstochert und sich dann wundert, wenn das Ganze explodiert?

Vielleicht ging es Jesus manchmal selbst so. Denn er hat sie ja erlebt, die Menschen. Die Menschen mit ihren Grenzen und Abgründen. Die Menschen in ihrer Verlogenheit. Die Menschen mit ihrem Hass und dem ewigen Drang, es allen zeigen zu wollen. Vielleicht hatte er sogar Verständnis. Verständnis für alle, die das nicht mehr aushalten. Verständnis für die, die sich wehren wollen. Verständnis für jeden, der resigniert und zurückschlägt.

Und trotzdem sagt Jesus: Nein! Bleib bei dir! Lass dich nicht einwickeln von der Tücke des anderen! Lass dich nicht entmutigen von den vielbeschworenen Dingen, die man ja doch nicht ändern kann. Doch, sagt er, man kann die Dinge ändern! Es ist möglich, den Kreislauf des Bösen zu durchbrechen. Und zwar indem du nicht nur jemanden nicht tötest, sondern dem, der dir so querkommt, keine Macht mehr über dich gibst. Es ist möglich, ehrlich zu sein. Lebe so, dass man dir traut. Auch auf die Gefahr hin, dass andere es ausnutzen.

Natürlich, es gibt sie. Die vielen Gründe, immer und immer wieder benannt, warum das alles doch nur Phantasterei und Wunschdenken naiver Weltverbesserer ist. Warum Jesus ja auch nicht ohne Grund am Kreuz gelandet ist, Auferstehung hin oder her. Warum sich seither nichts verändert hat. Nicht mal in der Kirche. Wir müssen uns doch nur umschauen, wie sehr auch in der Kirche gelogen und vertuscht wird, wie sehr auch hier die Macht des Stärkeren gilt und so vieles starr und unbeweglich bleibt bis zum Jüngsten Tag.

Aber dann gibt es doch auch immer wieder die, die sich das anhören und denken: Ihr habt recht! Es ist mühsam. Aber ich versuche es trotzdem! Denn: Ich kann nicht anders! Wie sähe es heute wohl in Heilig Geist und damit in unserer ganzen Pfarrei aus, wenn es nicht diesen Dieter Wellmann gegeben hätte, der Anfang der 80er-Jahre den Laden auf den Kopf gestellt hätte. Ihm ist es gelungen, die damalige katholische Enge und Schwere in eine Weite und Tiefe zu verwandeln, von der nicht wenige bis heute sagen: Diese neue Sicht, diese ganz andere Erfahrung von Glauben – das hat mich gerettet. Sonst wäre ich nicht mehr da.

Dieter hat es anders gemacht. Weil er fest davon überzeugt war, dass die Gebote Jesu den Menschen zwar herausfordern, aber nicht, um ihn klein zu halten und in klerikale Abhängigkeiten zu bringen, sondern um ihm einen unmittelbaren Zugang zu Gott zu schaffen. Denn dieser Gott ist kein Aufpassergott, der durchs Schlüsselloch schaut und alles mit Argwohn betrachtet, was schön ist. Dieser Gott ist keine alte Jungfer, kein Spielverderber und schon gar kein Sadist, der die Menschen quält.

Dieter Wellmann hat mit Lust und Leidenschaft, mit Herz und Verstand von einem Gott gesprochen, der den Menschen in die Freiheit und in die Weite führt. Viele haben ihn gehört. Manche zehren bis heute davon. Dieter hat diesem Gott geholfen, zur Welt zu kommen. Indem er die Armen kannte und ihnen nahe war. Indem er manch unmöglich Geglaubtes möglich machte. Indem er Menschen zutraute, etwas zu können und sich einzubringen.

Dieter sah die Kirche realistisch. Er hinterfragte, analysierte klug und ging dann seinen Weg. Egal, was seine Vorgesetzten dachten. Und im Gegensatz zu seinem Fußballverein, der mal Deutscher Meister gewesen ist, war Dieter niemals mittelmäßig. Alles auf eine Karte, ganz oder gar nicht – das war seine Devise.

Jesus fordert uns heraus. In Zeiten wie diesen, in denen die Kirche, wenn sie ehrlich ist, nicht mehr strahlend in den Spiegel schauen darf, in Zeiten wie diesen, in denen mitten in Europa ein für unmöglich gehaltener Krieg tobt, in Zeiten wie diesen, in denen überall auf der Welt Menschen an Hunger und Krankheit sterben und viele einfach keine Hoffnung mehr haben, in Zeiten wie diesen, in denen alles den Bach runterzugehen scheint – in Zeiten wie diesen brauchen wir den Mut und die Kraft, die Jesus denen verheißt, die ihm vertrauen. Und die dann – trotz allem – dabeibleiben. Und mitgehen. Und gestalten. Und sich blutige Nasen holen. Weil sie wissen, wofür sie es tun. Dieter Wellmann war so einer. Nicht lange zögern. Einfach machen. Er wäre wahrscheinlich schon längst losmarschiert!

Alexander Bergel