522.821. Das ist die Zahl der Woche. Zumindest in der katholischen Welt. 522.821 Menschen sind im vergangenen Jahr in Deutschland aus der Kirche ausgetreten. Die Führungsetagen der Bistümer reagieren routiniert. Einmal mehr wird von der tiefen Krise gesprochen, in der die Kirche stecke. Von schmerzhaften Einschnitten. Von tiefer Betroffenheit. Davon, dass man Vertrauen wiedergewinnen und Reformen voranbringen müsse.

Am Tag der Zahlenveröffentlichung rückt die Staatsanwaltschaft beim Erzbistum Köln an, um Dokumente zu sichten im Zusammenhang mit der Frage, ob Kardinal Woelki einen Meineid geleistet habe. Der wiederum erstattet Anzeige gegen Unbekannt, weil jemand die Razzia an die Presse durchgestochen habe. Sich zu fragen, ob das, was seit Jahren an Skandalträchtigem im gut eingerichteten katholischen Paralleluniversum Köln geschieht, nicht einer der Gründe für die weglaufenden Menschen sein könnte, ist dort offensichtlich schwer denkbar.

Ganz anders Jesus. Er hatte zweitausend Jahre zuvor ein Konzept entwickelt, um seine Botschaft unter die Leute zu bringen. Und dieses Konzept heißt: Hingehen. Schauen, was ist. Zuhören. Und dann davon sprechen, dass es einen Gott gibt, der deinem Leben Sinn und Richtung geben kann. Eine Vergnügungsreise ist das nicht immer, denn auf diesem Weg begegnet dir auch das Kreuz. Und so höre ich schon die selbsternannten Märtyrer, die sich von den Medien und der Öffentlichkeit ans Kreuz geschlagen sehen im Kampf der bösen Welt gegen die heilige Kirche.

Mit dem Wort Jesu „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert“ ist aber wohl etwas anderes gemeint. Kein Beleidigtes-Leberwurst-Gehabe, sondern radikaler Realitätssinn. Jesus hat sich der Welt gestellt, ihren Abgründen, ihrer Angst, ihrem Horror, ihrem Tod. Ohne auszuweichen. Bis zum bitteren Ende. Wer in seiner Spur unterwegs ist, sollte das ebenso versuchen. Um es zu bestehen, das Leid. Um dagegen anzugehen. Und um eine Hoffnung in die Welt zu bringen, die von Ostern nicht nur spricht, sondern die Kraft der Auferstehung erfahrbar werden lässt.

Mit anderen Worten: Wir müssen neu lernen umzusetzen, womit Jesus seine Jüngerinnen und Jünger damals beauftragt hat: „Lasst die Menschen spüren: Auch wenn du am Ende bist, auch wenn dir Hören und Sehen vergangen ist, auch wenn dich das Leben sprachlos gemacht hat, auch wenn deine Schmerzen übergroß sind, die körperlichen genauso wie die seelischen – auch wenn das alles so ist: Hör nicht auf zu vertrauen! Vertraue, dass da ein Gott ist, der dich sieht und sich um dich sorgt!“

Man wird auch uns daran messen, ob solchen Worten Taten folgen. Ob wir Begegnungen ermöglichen, die Menschen sagen lassen: Hier darf ich sein. Hier kann ich glauben. Hier kann ich leben. Und frei atmen. Ich glaube, so hatte sich Jesus das mal gedacht.

Alexander Bergel

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Bild: Jürgen Damen
In: pfarrbriefservice.de