Vieles, was uns im Gottesdienst begegnet, nehmen wir meist einfach so hin, ohne es zu hinterfragen. Weil es immer schon so war oder halt so ist oder sich auch von selbst erschließt. Aber ganz so einfach ist es dann oft auch wieder nicht. Warum steht oder sitzt oder kniet man beispielsweise, und warum liegen die liturgischen Dienste am Karfreitag minutenlang auf dem Boden? Was bedeuten manche fremdartigen Worte, und wozu braucht man die? Warum gibt es immer wieder Zeiten der Stille? Welche Bedeutung haben die Farben? Wie viele Sorten Weihrauch gibt es eigentlich? Und vieles mehr.
Wir sprechen in loser Folge im Wochenblatt und auf der Homepage diese und andere Themen an, erläutern sie und können vielleicht so dabei helfen, einen (neuen) Zugang zu dem zu bekommen, was wir da Sonntag für Sonntag und Jahr für Jahr feiern. Wenn Sie Fragen haben zum Gottesdienst, zum Kirchenjahr und zu allem, was damit zu tun hat, melden Sie sich gerne bei Pfarrer Alexander Bergel.
.
Teil 5
»Dann hätten wir auch zuhause bleiben können …«
Oder: Warum die Wort-Gottes-Feier mehr Freunde verdient hat
Ein Sonntag in den Sommerferien, kurz vor zehn in Heilig Geist: »Wie«, fragt jemand leicht irritiert, »ist heute keine Messe? Na, dann hätten wir auch zuhause bleiben können!«
Was war da los?
Am Sonntag feiern wir in der Regel – wie sich das für eine katholische Gemeinde gehört – die Eucharistie. Immerhin ist dieses Vermächtnis Jesu (»Nehmt und esst, nehmt und trinkt!«) Kern und Mitte der Liturgie und damit Kern und Mitte der Kirche. Seit frühesten Zeiten versammeln sich Christinnen und Christen in ihren Häusern, später in Basiliken und dann in eigens erbauten Kirchen, um Brot und Wein zu teilen und sich so der Gegenwart Jesu Christi bewusst zu werden, ja sie sich buchstäblich auf der Zunge zergehen zu lassen.
Von Anfang an jedoch – davon sprechen zum Beispiel die Kirchenväter Hieronymus im 3./4. und Augustinus im 4./5. Jahrhundert – hat die Kirche auch das Wort Gottes so hoch geehrt »wie den Leib des Herrn selbst« (vgl. dazu das Dokument »Dei Verbum – Über das Wort Gottes« des Zweiten Vatikanischen Konzils). Daher hat die Liturgiereform des Konzils auch sehr deutlich gemacht, dass die Verkündigung des Wortes Gottes in der Messe (1. Lesung – Antwortpsalm – 2. Lesung – Ruf vor dem Evangelium – Evangelium – Predigt) nicht länger »Vormesse« genannt werden soll (wie man es früher getan hat), sondern ein eigener, gleichrangiger Teil der Messe ist, nämlich der Wortgottesdienst, der in die Feier der Eucharistie mündet.
»Dagegen habe ich ja auch gar nichts, das hört sich gut und richtig an«, könnte jener Mensch nun einwenden, den ich anfangs zitiert habe, »aber darum geht es mir nicht, denn an diesem Sonntag wurde kein Gottesdienst gefeiert, in dem Wort und Sakrament vorkamen, sondern nur das Wort. Und da hätte ich doch wirklich zuhause bleiben können …«
Das Konzil hatte die Idee, neben der Feier der Messe eine alte Form wieder zu entdecken – und gleichzeitig neu zu schaffen: einen Gottesdienst nämlich, in dem das Wort Gottes ganz im Mittelpunkt steht. Im Gegensatz zum ersten Teil der Messe nennen wir diese eigene Liturgie nicht »Wortgottesdienst«, sondern »Wort-Gottes-Feier«. In ihr soll ganz praktisch erfahrbar werden, was sich im oben zitierten Konzilstext, der davon spricht, dass »Wort« und »Herrenleib« dieselbe Ehrfurcht verdienen, eher theoretisch anhört. Diese ganz praktische Erfahrbarkeit in einer eigenen Feier ist jedoch – seien wir ehrlich – in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Konzil (also seit Mitte der 1960er-Jahre) nicht immer gelungen.
In vielen Gemeinden wurden Wort-Gottes-Feiern ja auch erst dann installiert, als es immer schwerer möglich wurde, die Messe zu feiern, deren Leitung bei einem Priester liegt, von denen es nun mal – auch das ist nicht neu – immer weniger gibt.
In unserer Pfarrei legen wir schon seit vielen Jahren Wert darauf, auch dann Wort-Gottes-Feiern anzubieten, wenn gerade kein Priestermangel herrscht (gelegentlich leite ich ja auch selbst Wort-Gottes-Feiern). Wir wollen damit zeigen: Die Wort-Gottes-Feier ist in erster Linie keine Notfalllösung, sondern neben der Messe eine weitere Feierform, in der sich Gott begegnen lässt. Deshalb gestalten wir die Wort-Gottes-Feier auch nie so, dass an deren Ende die Kommunion aus dem Tabernakel ausgeteilt wird. Nach unserer Überzeugung gehört die Kommunion in die Messe mit ihrem Dreischritt Gabenbereitung – Hochgebet – Kommunion.
Nun kommt es aber doch immer mal wieder vor, dass wir am Sonntag keinen Priester vor Ort haben (oder einer plötzlich erkrankt wie ich am vergangenen Sonntag). Und deshalb feiern wir gelegentlich auch am Sonntag eine Wort-Gottes-Feier. Die Leitung dieser Feiern liegt dann bei ehrenamtlichen oder hauptamtlichen gut ausgebildeten Frauen und Männern, die sich sehr viel Mühe geben, um im Zusammenspiel mit den anderen liturgischen Diensten eine würdige und lebensnahe Feier zu gestalten. Dafür bin ich diesen Liturgen außerordentlich dankbar! Also doch eine Notlösung? Mitunter schon. Und dennoch werbe ich darum, die Wort-Gottes-Feier nicht wie das ungeliebte Stiefkind zu behandeln, sondern sie mehr und mehr lieb zu gewinnen.
»Ja, aber in der Wort-Gottes-Feier wird immer so viel geredet.« Mitunter höre ich das. Idealerweise lebt auch die Wort-Gottes-Feier davon, dass neben der Verkündigung des Wortes Gottes eine Ausgewogenheit von Liedern, Stille (!) und rituellen Elementen herrscht. Diese rituellen Elemente können eine Weihrauchgabe sein, eine Prozession, die Verehrung der Bibel oder einer Ikone, ein Taufgedächtnis, der Gang zur Krippe, ein Tanz, der Friedensgruß, eine Bildbetrachtung, eine musikalische Meditation, die Weitergabe von Licht und noch manches mehr. An Sonn- und Feiertagen gibt es darüber hinaus immer auch ein Hochgebet (kein eucharistisches Hochgebet über Brot und Wein, aber ein wirkliches Hochgebet, also ein Gebet, in dem Gottes große Taten gepriesen werden und wir um die Kraft seines Geistes mitten unter uns bitten). In der Wort-Gottes-Feier hat das Gloria, das in der Messe ja ganz am Anfang steht, seinen Platz am Ende dieses Lob- und Dankgebets.
Ich lade Sie herzlich ein, der Wort-Gottes-Feier in ihrer Glaubenspraxis eine Chance zu geben! In der Woche feiern wir eine solche Liturgie immer mal wieder am Dienstagmorgen in Heilig Geist. Oder auch am Heiligabend in Christus König. Und eben auch an manchen Sonntagen. Der Wert der Eucharistie bleibt unbestritten. Ohne sie können wir (wie es ganz frühe Christen einmal formuliert haben) nicht leben. Aber das Wort Gottes – verkündet und gefeiert – hat eine Kraft, die Sie vielleicht doch einmal ganz unvermutet erfüllen könnte. Und deshalb würde ich zum Beispiel an einem Sonntagmorgen mit Wort-Gottes-Feier lieber nicht zuhause bleiben. Man weiß ja nie …
.
Teil 4
»Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder«
Von der Musik im Gottesdienst
Ein Gottesdienst ohne Musik? Kaum vorstellbar. Deshalb sangen die Christen wohl auch schon von Anfang an geistliche Lieder, wenn sie sich versammelt haben, um Gott zu feiern: »Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt.« So steht es jedenfalls im Kolosserbrief (Kol 3,16).
»Wie sie der Geist eingibt« – das bedeutet doch: Lieder haben etwas mit göttlicher Kraft und mit göttlicher Logik zu tun, oder? Manchmal spürt man das. Dann, wenn mich etwas anrührt. Dann, wenn ich merke: Die Worte, die Melodie bewirken etwas, bringen mich weiter, vielleicht sogar Gott etwas näher.
Lieder im Gottesdienst sind also nicht nur schmückendes Beiwerk, sie »umrahmen« die Liturgie nicht nur – nein, sie sind wesentlicher Bestandteil der Feier. Daher ist es auch so wichtig, dass nicht irgendwelche Lieder gesungen werden, sondern dass Lieder Teil des roten Fadens sind, der idealerweise den Gottesdienst durchzieht: im Zusammenspiel der Lesungen, die quasi das »Thema« des Gottesdienstes vorgeben, dem im Wechsel mit den Kantorinnen gesungenen (!) Antwortpsalm nach der 1. Lesung, dem Ruf vor dem Evangelium (in der Regel das Halleluja, in der Fastenzeit ein Ruf wie »Lob dir Christus, König und Erlöser«), den Gebeten, die der Priester im Namen aller spricht (oder zu festlichen Anlässen auch singt), und den Fürbitten. Genauso wichtig ist es, zu schauen, in welcher Jahreszeit wir uns befinden. Daher singen wir in der Osterzeit auch vor allem die alten und neuen Osterlieder. Gleiches gilt für den Advent und die Weihnachtszeit.
Welche Lieder aber singen wir – und welche vielleicht auch nicht (mehr) oder nicht so oft? Wenn ich Lieder aussuche, schaue ich nicht so sehr danach, welche ich besonders gerne mag, sondern welche an diesem Tag besonders passen. So haben wir bei uns eine, wie ich meine, ganz gute Mischung aus alten und neuen Liedern – mit leichter Schlagseite zu Liedern aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aber es gibt auch Lieder, die wenig oder gar nicht vorkommen. Das ist keine willkürliche Entscheidung, sondern der Frage geschuldet: Kann ich solche Lieder im 21. Jahrhundert wirklich noch singen?
Die Beantwortung dieser Frage hat viel mit dem Gottesbild zu tun, das in diesen Liedern vermittelt wird. Oder mit dem Kirchenbild. »Fest soll mein Taufbund immer stehn, ich will die Kirche hören. Sie soll mich allzeit gläubig sehn und folgsam ihren Lehren«, hieß es bis 1975. Heute singen wir zum Glück: »Fest soll mein Taufbund immer stehn, zum Herrn will ich gehören. Er ruft mich, seinen Weg zu gehn, und will sein Wort mich lehren.«
Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Bilder wandeln, lässt sich ganz gut an einem Marienlied zeigen. Im alten Gotteslob von 1975 hieß es in der dritten Strophe des Liedes »Sagt an, wer ist doch diese«: »Du strahlst im Glanz der Sonne, Maria, hell und rein. Von deinem lieben Sohne kommt all das Leuchten dein. Durch diesen Glanz der Gnaden sind wir aus Todes Schatten, kommen zum wahren Schein.« Die Textdichter haben nach den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) versucht, Maria (wieder) ganz eng mit ihrem Sohn zu verbinden. Das war ein wenig in Vergessenheit geraten, wenngleich diese enge Verbindung eigentlich der Kern jeder Marienverehrung sein müsste.
Als das Gotteslob 2013 erneuert wurde, gab es unter Theologen und Kirchenmusikern dennoch eine große Diskussion darüber, ob nicht der alte Text aus dem 19. Jahrhundert wieder aufgegriffen werden sollte. Die Meinung dieser Fraktion hat sich durchgesetzt. Und so heißt die dritte Strophe, zu finden unter der Nummer 531, nun: »Sie strahlt im Tugendkleide, kein Engel gleichet ihr. Die Reinheit ihr Geschmeide, die Demut ihre Zier. Ein Blumengart, verschlossen, mit Himmelstau begossen, so blüht sie für und für.«
Das 19. Jahrhundert hat sich überboten mit der Formulierung marianischer Spitzenaussagen: unbefleckt empfangen (also bei ihrer eigenen Zeugung von der Erbsünde bewahrt – was auch immer das bedeuten mag), jungfräuliche Mutter (Jesus wurde nicht von Josef gezeugt, sondern durch die »Überschattung des Heiligen Geistes« geschaffen – mit all den sexualfeindlichen Assoziationen, unter denen die katholische Sexualmoral bis heute zu leiden hat) und manches mehr …
Ich gebe zu: Mir sind Gedanken und vor allem (gesungene) Worte wie diese in Folge solch marianischer Höhenflüge fremd. Sehr viel näher sind mir Texte wie jene, die sich beispielsweise in dem Marienlied unter der Nummer 905 finden: »Mit dir, Maria, singen wir von Gottes Heil in unsrer Zeit. Uns trägt die Hoffnung, die du trugst, es kommt der Tag, der uns befreit. Dein Jubel steckt auch heute an, österlich klingt er Ton um Ton: Großes hat Gott an dir getan. Großes wirkt unter uns dein Sohn.«
Musik und Lieder sind nie belanglos. An der Frage der Texte wird dies spürbar. Wobei nicht alles, was alt ist, nicht mehr geht. Im Gegenteil! Die wirklich alten Texte – wie zum Beispiel der Osterhymnus »Christ ist erstanden« aus dem 12. Jahrhundert (zu finden unter der Nummer 318) – haben in der Regel nichts von ihrer textlich-musikalischen Wucht verloren und rühren auch heute noch Menschen an. Denn sie sind nie schwülstig, nie überbordend, und selbst dann, wenn sie sehr feierlich daherkommen, nicht aufgeblasen. Das mag ich.
Genauso wie ich die tiefe und gleichermaßen lebensnahe Theopoetik eines Huub Oosterhuis mag, der wir im Gotteslob an der ein oder anderen Stelle begegnen. Das vielleicht bekannteste Lied von ihm findet sich unter der Nummer 422: »Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr.« Lieder wie diese rühren in mir etwas an, was sich nicht vordergründig beschreiben lässt. Geht es Ihnen auch so? Oder anders, weiter gefragt: Welche Lieder mögen Sie?
In unserer Pfarrei haben wir viele Menschen, die sich um die Kirchenmusik verdient machen: die Kantorinnen und Kantoren, die Organisten und anderen Instrumentalisten, die Chorleiter, die Chöre – und am Ende Sie alle, die Sie – egal, welche Lieder auch angezeigt werden – immer kräftig und leidenschaftlich mitsingen. Immer dann, wenn ich mal Gäste im Gottesdienst habe, bekomme ich diese Rückmeldung. Und dafür bin ich sehr dankbar!
.
Teil 3
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Vom Verhüllen und Enthüllen
Manche erinnern sich vielleicht noch an eine Diskussion, die Mitte der 1990er-Jahre geführt wurde. Der Künstler Christo bat darum, das Reichstagsgebäude in Berlin verhüllen zu dürfen. So, wie er es schon vorher mit vielen anderen Gebäuden weltweit gemacht hatte. Nach langem Abwägen des Dafür und des Dagegen fiel die Entscheidung: »Ja, wir machen das!« Und so kam es zu jener spektakulären Aktion, die das Reichstagsgebäude so präsent sein ließ wie selten zuvor.
Aus einem ähnlichen Grund werden Kreuze und Bilder in den Kirchen verhüllt (bei uns zumindest in St. Franziskus, für die anderen beiden Kirchen suchen wir noch nach Lösungen) – und zwar entweder während der gesamten Fastenzeit oder ab dem 5. Fastensonntag, der auch Passionssonntag genannt wird und eine Woche vor dem Palmsonntag liegt.
Wer immer auf dieselben Bilder schaut, nimmt sie oftmals gar nicht mehr wirklich wahr. Wer aber plötzlich auf eine visuelle Grenze stößt, wird mit Fragen konfrontiert: Was war da noch gleich? Wie genau sieht es aus? Und vor allem: Hat es eine Bedeutung für mich?
Warum geschieht diese Verhüllung aber ausgerechnet kurz vor Ostern? Gerade in diesen Wochen steht doch das Kreuz als Symbol für das Leiden und Sterben Jesu im Mittelpunkt. Eine Antwort auf diese Frage stammt aus dem 13. Jahrhundert. Ein französischer Bischof deutet die Verhüllung der Kreuze allegorisch und bezieht sich auf eine Stelle im Johannesevangelium: »Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Jesus aber verbarg sich und verließ den Tempel« (Joh 8,59). Kern dieser Deutung: In der Zeit seines Leidens hat Jesus seine Gottheit verhüllt. Dass Jesus sich in den letzten Tagen vor seinem Einzug in Jerusalem nicht mehr in der Öffentlichkeit bewegte (Joh 11,54), ist eine weitere Deutungsspur.
Die im Mittelalter immer öfter prächtig geschmückten Triumphkreuze in den Kirchen, die mehr vom Ostersieg sprachen als vom Karfreitagsleiden, mögen ein weiterer Grund für die Verhüllung der Kreuze gewesen sein.
Etwas nicht mehr zu sehen, schärft den Blick für das, was dahintersteht. Während der Feier vom Leiden und Sterben Jesu am Nachmittag des Karfreitags wird nach der Lesung der Passionsgeschichte das verhüllte Kreuz in die Mitte der versammelten Gemeinde getragen. »Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen!« Dreimal hören wir diesen Ruf, der Schritt für Schritt um ein Wort ergänzt wird: »Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt, der König der Völker, das Licht unseres Lebens, das Geheimnis des Glaubens.« Und alle antworten mit einem Glaubensbekenntnis: »Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit!«
Im Enthüllen dessen, was uns lange verborgen blieb, enthüllt sich gleichermaßen ein tiefes Geheimnis: Jener Mann aus Nazareth, der qualvoll am Kreuz gestorben ist, ist nicht im Tod geblieben, sondern von den Toten auferstanden. Wenn wir am Karfreitag einzeln nach vorne treten, geht es nicht um die Verherrlichung eines qualvollen Todes, schon gar nicht um die Verehrung eines Marterwerkzeugs. Nein, wer sich am Karfreitag auf den Weg macht, um vor dem Kreuz zu stehen, der macht sich auf den Weg, um einem Gott zu begegnen, der selbst zum Opfer wurde in einer Welt, die ist, wie sie ist. Und der so diese Welt von innen heraus verändert hat. Es gibt Momente, da fällt einem das wie Schuppen von den Augen.
.
Teil 2.
»Rosa ist schon ein Statement!«
Von den Farben im Gottesdienst
Zweimal im Jahr ist es so weit. In der Mitte des Advents und in der Mitte der Fastenzeit, also am 3. Adventssonntag und am 4. Fastensonntag, leuchtet für einen Tag ein rosa Farbtupfer in der Liturgie auf. Das dunkle Violett bekommt einen Schuss leuchtendes Rot-Weiß verpasst und macht Lust auf das, was kommt. An Weihnachten und Ostern strahlt dann alles in komplettem Weiß.
Die Messdienerinnen und Messdiener sind sich oft nicht so einig, wie sie diese selten schöne Farbe des Messgewands finden sollen. Doch die Gesichter der Menschen, die uns dann beim Einzug am Beginn der Messe sehen, wechseln meist recht schnell in eine entspannte Schmunzelstellung. Das also hätten wir schon mal bewirkt mit dieser Farbe – immerhin! Oder anders gesagt: Rosa ist schon ein Statement! Nur was für eins?
Wer alles nur durch die rosarote Brille betrachtet, bekommt oft zu hören, wie naiv das ist. Und in der Tat: Vieles entspricht ja auch mehr dem dunklen Violett als dem verspielten Rosa. Aber das dunkle Violett der Wochen vor Weihnachten und vor Ostern enthält neben den starken Dunkelblautönen eben auch das leuchtende Feuer der Farbe Rot. Und je mehr ich von diesem Feuer in das Dunkle hineingebe, desto mehr hellt sich so manches von dem auf, was mich umgibt. Rosa ist also ein Statement dafür, nie die Hoffnung zu verlieren – trotz aller Dunkelheit.
Weihnachten und Ostern sind die beiden Angelpunkte im Jahr, die daran erinnern, dass am Anfang (Geburt) und am Ende (Tod und Auferstehung) einer steht, der mein Leben geteilt hat und eine Perspektive schenkt, die über all das hinausgeht, was sich an bedrückenden Erfahrungen zeigt. Und wenn ich diesem Gott voller Sehnsucht begegne (dafür steht übrigens die Farbe Violett auch), dann kann es passieren, dass mich dieses Aufleuchten der Erlösung die Welt plötzlich in einem ganz anderen Licht sehen lässt.
In unserer Pfarrei haben wir drei rosafarbene Gewänder. In St. Franziskus ein gedeckt rosafarbenes mit silberner Stickerei. Da denke ich immer: Okay, zweimal im Jahr geht das. Ein zweites hängt in Christus König: ein, wie ich finde, sehr schönes altrosafarbenes Gewand, das ich gerne trage. Und dann gibt es, ebenfalls in Christus König, ein so knallrosafarbenes Messgewand, das ich nur mit Sonnenbrille aushalten kann. Deshalb ist es im Schrank auch gut aufgehoben. Wenn ich jedoch einmal im Jahr mit Erstkommunionkindern eine Sakristeibesichtigung mache und auch die Gewänder zeige, geht immer ein Aufschrei der Begeisterung durch die Runde der Kinder. Nahezu alle Mädchen feiern diese Farbe! Wer weiß, vielleicht erleben wir es ja noch, dass sie als Erwachsene dieses Gewand tragen können, wenn Frauen zur Priesterweihe zugelassen sind. Aber das ist eine andere Geschichte. Und auch die Frage, ob rosa vor allem eine Mädchenfarbe ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Neben dem Rosa gibt es noch fünf weitere liturgische Farben, die Sie in aller Kürze hier zusammengestellt finden:
Weiß ist die Farbe der Freude und des Lebens (Ostern und Osterzeit, Weihnachten und Weihnachtszeit, Hochfeste und Feste Jesu, Mariens und der Heiligen, Taufe, Trauung, Weihe, Krankensalbung).
Rot ist die Farbe des Heiligen Geistes (Pfingsten und Firmung) und die Farbe des Blutes (Palmsonntag und Karfreitag, Gedenken der Märtyrer).
Violett ist die Farbe der Sehnsucht und der Vorbereitung, die Farbe der Buße und der Umkehr (Advent und Österliche Bußzeit, Bußgottesdienste und Feier der Versöhnung in der Beichte), mancherorts ist sie auch die Farbe der Totenliturgie.
Schwarz ist die Farbe des Todes (am Karsamstag und an Allerseelen und bei Beerdigungen).
Grün schließlich ist die Farbe der Hoffnung mitten im Alltag und wird getragen in der sogenannten Zeit im Jahreskreis (zwischen dem Ende der Weihnachtszeit am Sonntag nach dem 6. Januar und dem Aschermittwoch sowie ab Dienstag nach Pfingsten bis zum Samstag vor dem 1. Adventssonntag).
Manchmal ist die Kirche doch bunter als man glaubt …
.
Teil 1
»Mama, ist der Pastor eingeschlafen?«
Von der Stille im Gottesdienst
Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. Es ist schon einige Jahre her, da stand ich als junger Kaplan nach dem Gloria, also dem großen Lobgesang am Anfang der Messe, am Mikrofon und lud die Gemeinde mit den bekannten Worten »Lasst uns beten« zum ersten gemeinsamen Gebet, dem Tagesgebet, ein. Danach kam, wie ich es gelernt hatte, eine vielleicht zehnsekündliche Stille. In der ersten Reihe saß eine Mutter mit ihrem Kind, vielleicht gerade in den Kindergarten gekommen, das nach ungefähr acht Sekunden besorgt und für alle deutlich hörbar fragte: »Mama, ist der Pastor eingeschlafen?« Danach war es mit der Stille erstmal vorbei, und es dauerte ein paar Sekunden länger, bis wir uns vom lauten Lachen wieder einigermaßen erholt hatten, bevor es dann wirklich zum Tagesgebet kommen konnte. Und damit sind wir mittendrin in der Frage: Warum gibt es an dieser Stelle eigentlich eine Stille? Und warum gibt es überhaupt die Stille im Gottesdienst?
In einer Welt, in der es oft darum geht, möglichst viel und möglichst laut zu reden und auch immer zuhören zu müssen, erleben es viele Menschen als heilsam, genau das nicht zu tun. Wie oft sehnen wir uns danach, einfach mal nichts machen zu müssen. Einfach da sein zu können. Nichts reden. Nichts hören. Auch im Gottesdienst gibt es mitunter die Gefahr, dass wir aus dieser Dauerschleife nicht herauskommen. So sehr uns dort auch Worte des Heils, vielleicht sogar Worte des lebendigen Gottes begegnen, so schön es ist, in einer Predigt Anstöße zum Nachdenken zu bekommen, und so sehr wir darauf ausgerichtet sind, dass einer ein gutes Wort sagt (nichts anders bedeutet übrigens das Wort segnen (lateinisch bene dicere, etwas Gutes sagen), so sehr dies alles so ist, so dringend brauchen wir aber auch die Phasen, in denen wir einfach nur da sind und in uns hineinhören.
Genau dafür gibt es diese kleine Gebetsstille am Anfang der Messe. Wenn der Priester zum Gebet einlädt und dann eine Stille hält, soll diese Zeit den Raum dafür geben, in sich hineinzuhören und zu schauen: Was ist da eigentlich gerade los? Wen oder was trage ich im Herzen? Wofür möchte ich danken? Für wen bitten? Oder worum klagen? All das fasst der Priester dann zusammen, wenn er im Namen aller das Gebet an Gott richtet. Mein Eindruck ist, dass viele diese Stille für sich nutzen können, anderen fällt es schwer oder sie finden das gar lästig. Ich glaube aber, dass wir Momente wie diese dringend brauchen. (Beim Gaben- und beim Schlussgebet hingegen ist schon Vieles gesagt und bedacht, da geht es dann gleich einfach weiter.)
Zwei weitere Momente der Stille gibt es darüber hinaus: nach der Predigt und nach der Kommunion. Auch diese Momente sollen den Raum bieten, das Gehörte oder die Begegnung mit Christus im eucharistischen Brot nachklingen zu lassen. Man muss in diesen Augenblicken sicher nicht immer zutiefst berührt sein und die Gotteserfahrung seines Lebens machen. Aber wer sich der Stille immer mehr öffnet, kann vielleicht wie der Prophet Elija im Alten Testament, dem Gott nicht im Sturm, nicht im Feuer und nicht im Erdbeben begegnet ist, sondern in der Stille (oder – wie Martin Buber es übersetzt hat – in einer »Stimme verschwebenden Schweigens«) dem Gottesgeheimnis Stück für Stück näherkommen. Genau dabei wollen die stillen Momente in unseren Gottesdiensten eine Hilfe sein.
.
Bild: Sylvio Krüger
In: Pfarrbriefservice.de